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Supergau SPIEGEL – und ein Vorschlag an die Branche.

Beitrag von Birgit Jakobs, Gründerin dot.communications

Claas Relotius: Gibt man diesen bislang eher in der Medienbranche bekannten Namen ein, findet Google bis zum Erscheinen dieses Textes ungefähr 6.730.000 Ergebnisse. Für immer wird dieser Name mit der bislang größten SPIEGEL-Krise verbunden bleiben, mit Worten wie „Fälschung“, „Betrugsfall“ und „Lügen“.

Es ist in Zeiten von Lügenpresse und Fake News wirklich ein Super-Gau, den der SPIEGEL gerade durchlebt. Die ganze Branche ist in Aufruhr, weitere Medien könnten betroffen sein. Der Kollateralschaden für uns Medienschaffende, den eine einzelne Person hier angerichtet hat, ist enorm. Ich warte immer noch auf den schadenfrohen Tweet von Donald Trump. Immerhin hat das Magazin auch einen Preis bekommen für das Titelbild, das ihn blutrünstig mit einer von ihm geköpften Freiheitsstatur zeigt. Nun ist mehr als der Streit um ein provokantes Titelbild eskaliert. Und vermutlich wird Trump den SPIEGEL bei seinen unsäglichen „Fake News Award“ unter die ersten drei „Gewinner“ platzieren.

Genau das ist für mich persönlich das Schlimmste der Geschichte: dass sie Populisten Vorschub leistet, weiter gegen Pressefreiheit zu agitieren. Dass sie einen Beleg dafür bietet, dass Medien lügen. Und dass Journalisten eben auch zum sogenannten „Establishment“ gehören, dass sie Feinde des Volkes sind, klungeln, täuschen, und dafür auch noch Preise einsammeln.

Auch ich fühle mich getäuscht. Ich lese den SPIEGEL seit Jahren, viele der jetzt zitierten Reportagen haben auch mich gefesselt, betroffen gemacht. Und das ist das Zweitschlimmste an der Geschichte: Dass Claas Relotius über wichtige, über hochkomplexe Themen geschrieben hat: vom IS über Guantanamo bis Syrien. Hier brauche ich als Leserin Journalisten, die einen verlässlichen Zugang zu den Schreckensorten dieser Welt haben. Auch, damit für mich im sicheren Europa die großen Themen unserer Zeit wie Migration und Armut und Verfolgung und Krieg persönlich erfahrbarer werden. Wenn genau hier Relotius Spiel mit der Lüge beginnt – dann stirbt die vielzitierte Wahrheit nicht nur im Krieg, sie stirbt am Schreibtisch zum zweiten Mal.

Dennoch: Der SPIEGEL selbst leistet für mich im Vergleich zu anderen Skandalen, die uns durch das Jahr begleitet haben, eine aktive und umfassende Aufklärungsarbeit. Ich wünsche mir in den letzten Tagen dieses Jahres, dass dies auch gewürdigt wird. Die ganze Branche sollte meiner Ansicht nach die SPIEGEL-Redaktion mit einem starken Zeichen unterstützen: Indem sie Journalisten-Preise radikal aussetzt, besser sogar ganz abschafft.

Wenn Claas Relotius „Druck und Angst vorm Scheitern“ als Grund für sein Handeln nennt, dann können die vielen Preise, die er gewonnen hat, nicht ausgeblendet werden. Die Branche wird es verkraften und der Journalismus wird nicht schlechter werden, wenn weniger Lametta rund um „preiswürdige Reportagen“ funkelt.

An dieser Stelle allen Lesern: besinnliche Weihnachten und ein gutes 2019! Bleiben Sie uns gewogen, wir lesen uns gleich wieder im Neuen Jahr.

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