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Der Präsident, das Netz und der Wal
Beitrag von Birgit Jakobs, Gründerin dot.communications
Der Wal und Frank Walter Steinmeier – beide stehen auf der diesjährigen re:publica für kraftvolle Symbolik. So hatten die Macher des Digitalfestivals Herman Melvilles Literaturklassiker „Moby Dick“ ausgedruckt und auf breiten Rollen als künstlerische Installation durch die Hallen schweben lassen, zuweilen unterlegt von sphärischem Walgesang. Im Internet sei es wie mit dem weltberühmten Wal: jeder kennt ihn, keiner hat das Buch gelesen, lautete die Begründung. So erklärte sich auch das Festival-Motto: too long, didn´t read.
Der Wal ist in der Mythologie Welten-Fisch und wichtiger Teil des Universums: diese Symbolik war also gut gewählt angesichts all der ernsten und drängenden Fragen rund ums kurzatmige Netz. Mit der Langform kennt sich hingegen unser Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hervorragend aus. Sein Opening sorgte für Zuspruch beim Publikum und den Medien. Wichtig aus meiner Sicht, dass viele seiner klugen Sätze („Die Digitalisierung vernetzt uns, die Demokratie aber verbindet uns“) überall zu lesen waren. Die Bedeutung der Digitalität in allen Facetten, das kann man getrost bilanzieren, ist endgültig im politischen Berlin angekommen. Und darüber hinaus.
Das muss auch so sein. In anderen Ländern (USA, China) ist die Debatte übrigens seit Jahren am Köcheln. Keine Tech-Konferenz kommt bei den drängenden Fragen (Ethik, Wirtschaft, New Work) ohne politische Leitplanken aus. Die müssen uns je nach Land nicht gefallen – sie bestimmen aber Innovation und Entwicklung. Deshalb ist es zwar wunderbar, dass erstmalig so viele Politiker der aktuellen Regierung auf der re:publica waren. Aber eine Frage sei doch erlaubt: Kein Staatsoberhaupt muss, wie Frank Walter Steinmeier es mehrmals betonte, eine Einladung der Macher freudig annehmen, um ein Zeichen zu setzen. Politik muss sich vielmehr selbst stärker ins Gespräch bringen bei den wichtigen Debatten dieser Zeit. Politik muss ebenso wie die Wirtschaft eine Vision für ein digitales Deutschland haben, für ein digitales Europa, für eine digitale Zivilgesellschaft. Deshalb, sehr geschätzter Herr Bundespräsident: Warten Sie gar nicht mehr auf solche Einladungen! Mischen Sie sich viel früher ein. Dieses Thema könnte in Ihrer Amtszeit zentrale Bedeutung bekommen. Der Auftakt war ganz vielversprechend.